Erneut verfassungswidrig?

Der Bundesfinanzhof (BFH) hält das seit 2009 geltende Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz für verfassungswidrig und hat das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt. Der BFH sieht insbesondere in den steuerlichen Vergünstigungen für Betriebsvermögen und Beteiligungen an Kapitalgesellschaften von mehr als 25 % einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Seit dem 01.01.2009 gilt ein neues Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht. Es gewährt unter anderem erhebliche steuerliche Begünstigungen, wenn Betriebsvermögen – und nicht Privatvermögen – oder Beteiligungen an Kapitalgesellschaften von mehr als 25 % vererbt oder verschenkt werden. So wird für Betriebsvermögen ein sog. Verschonungsabschlag von 85 % oder unter bestimmten Voraussetzungen sogar von 100 % gewährt.

Der Entscheidung des BFH vom 27. September 2012 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Neffe beerbte im Jahr 2009 seinen Onkel. Nach Abzug des Freibetrags von € 20.000,00 versteuerte das Finanzamt die Erbschaft mit einem Steuersatz von 30 % Der Neffe wandte sich gegen die Höhe des Steuersatzes.

Der BFH hält das neue Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz aus folgenden Gründen für verfassungswidrig:

  • Die Begünstigung für Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftliches Vermögen sowie für Beteiligungen an Kapitalgesellschaften von mehr als 25 % stellt eine Überprivilegierung dar, die verfassungsrechtlich nicht zulässig ist.
  • Soweit der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die Erbschaftsteuer die Fortführung eines Betriebs gefährden könnte, ist diese Annahme nicht ohne Weiteres gerechtfertigt. Denn es gibt genügend Betriebe und auch Erben, die über ausreichend liquide Mittel verfügen oder diese – ggf. nach Stundung der Steuer – beschaffen können.
  • Zwar greift die steuerliche Begünstigung für Betriebsvermögen u. a. nur dann, wenn Arbeitsplätze innerhalb von fünf Jahren nach dem Erbfall bzw. nach der Schenkung in einem bestimmten Umfang erhalten bleiben. Diese Anforderung gilt aber nicht für Kleinbetriebe mit bis zu 20 Arbeitnehmern (immerhin 90 % aller Betriebe). Aber selbst die verbleibenden 10 % können die Erbschaftsteuer durch eine Aufspaltung ihres Unternehmens verhindern: in eine Besitzgesellschaft mit weniger als 20 Beschäftigten, bei der das Betriebsvermögen konzentriert wird, sowie in eine Betriebsgesellschaft, deren Betriebsvermögen nach Berücksichtigung der Verbindlichkeiten keinen oder nur einen geringen Steuerwert hat und daher eine beliebige Zahl von Beschäftigten haben kann.
  • Außerdem kann Vermögen, das nicht begünstigt ist, mit Gestaltungen in begünstigtes Vermögen umgewandelt werden.
  • Im Ergebnis ist damit die Befreiung von der Erbschaft- und Schenkungsteuer die Regel und nicht die Ausnahme.

Tipp: In letzter Instanz wird nun das BVerfG entscheiden müssen. Welche praktischen Konsequenzen es hat, wenn das BVerfG die Bedenken des BFH teilt, ist schwer vorhersehbar. Kaum vorstellbar ist, dass das gesamte ErbStG rückwirkend für verfassungswidrig und nicht mehr anwendbar erklärt wird. Ebenso wenig liegt es nahe, dass isoliert nur die Steuerverschonung rückwirkend für unanwendbar erklärt wird. Wahrscheinlicher ist, dass das BVerfG den Gesetzgeber auffordert, für die Zukunft „nachzubessern“. Soweit die Finanzverwaltung Steuerfestsetzungen im Hinblick auf die Vorlage nicht für vorläufig erklärt, sollten Betroffene (d. h. nicht durch §§ 13a, 13b ErbStG Begünstigte) ihre Steuerfestsetzung offenhalten.

Diesen Artikel und weitere Steuernews lesen Sie im Mandantenbrief November 2012.

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